Eichberger Modell

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Das Eichberger Modell ist ein bisher in Europa einzigartiges Modell, bei dem eine Apothekerin als Teil des Behandlungsteams einer Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie mitarbeitet, ohne an der Krankenhausapotheke angestellt zu sein. Seit 2011 wird das Eichberger Modell in der Vitos Klinik Eichberg angewendet.

Das Eichberger Modell basiert auf der These, dass durch die erfolgreiche Zusammenarbeit von Ärzten und Apothekern in der Klinik systematisch zur Vermeidung von Polypharmazie sowie von arzneimittelinduzierter Morbidität und Mortalität bei den Patienten beigetragen werden kann.

Ins Leben gerufen und konzeptionell erarbeitet wurde es von Sibylle C. Roll, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, Ärztliche Direktorin des Vitos Klinikums Rheingau und Klinikdirektorin der Vitos Klinik Eichberg, sowie von Martina Hahn, Fachapothekerin für klinische Pharmazie. Sie ist seit 2011 klinische Pharmazeutin an der Vitos Klinik Eichberg und dort verantwortlich für die Etablierung des Eichberger Modells.

Grundlagen des Eichberger Modells[edit | edit source]

Die Arzneimitteltherapiesicherheit gewinnt im Klinikalltag an Bedeutung. Immer mehr Patienten werden polypharmazeutisch behandelt.[1] Das Risiko unerwünschter Arzneimittelwirkungen (UAW) nimmt jedoch mit der Anzahl der verabreichten Medikamente zu. Während eines Krankenhausaufenthaltes nimmt die Anzahl an Arzneimittelinteraktionen nochmals deutlich zu.[2] Daher erscheint ein Interaktionscheck zu mehreren Zeitpunkten bzw. eine kontinuierliche Visitenbegleitung durch einen Pharmazeuten sinnvoll.[3]

Durch eine fachärztliche Spezialisierung erlangen Ärzte meist nur eine pharmakotherapeutische Expertise im eigenen Fachgebiet. Andere Arzneimittel und insbesondere die Arzneimittelinteraktionen dieser anderen Arzneimittel sind oft nur rudimentär bekannt. Arzneimittelinteraktionen werden daher oft zeitaufwändig anhand von Datenbanken überprüft, die unter Umständen nicht aktuell sind oder die gesuchte Wechselwirkung nicht enthalten. Die Trefferquote der Datenbanken ist nicht zufriedenstellend.[4] So kommt es bei 1,2 % der Patienten durch Wechselwirkungen der Medikamente zu schweren UAW, die eine Behandlung dieser Interaktionseffekte in einem anderen Krankenhaus notwendig machen.[5] Speziell in der Psychiatrie konnte gezeigt werden, dass durch Interventionen eines Pharmazeuten und gleichzeitige Schulungen der Ärzte bis zu 78 % der potenziell relevanten Interaktionen vermieden werden können.[3] Um diesen Problemen zu begegnen, sind bislang außerhalb von Studiensettings nur wenige Konzepte etabliert. Gerade Ärzte und Apotheker sind durch ihre unterschiedliche Ausbildung befähigt, bei einer erfolgreichen Zusammenarbeit Synergieeffekte zu erzielen und so Patienten besser zu versorgen. Wie eine Kooperation von Arzt und Apotheker gestaltet werden kann, die ausschließlich der Arzneimitteltherapiesicherheit dient und keine finanziellen Interessen verfolgt, zeigt das Eichberger Modell.[6] Nach der Klassifikation von McDonough [7] ist das Eichberger Modell eine „Stadium IV“-Zusammenarbeit von Arzt und klinischem Pharmazeuten: Es erfolgt ein bilateraler Austausch mit sehr regelmäßigen Kontakten und einer gleichmäßigen Verteilung der Verantwortung. Bewährt hat sich das Eichberger Modell besonders im gerontopsychiatrischen Bereich.[8] [9]

Der Aufgabenbereich des klinischen Pharmazeuten umfasst[5][10]

  • Interaktionscheck bei Aufnahme
  • Teilnahme an Visiten
  • Kurvenvisiten/Lehrvisiten mit Assistenzärzten und Pflegekräften
  • Beratung der Ärzte zu arzneimittelbezogenen Fragestellungen (welches Arzneimittel, Therapeutic Drug Monitoring, Interaktionen, Nebenwirkungen)
  • Abstimmung der Medikationsänderungen mit Einbeziehung von Fachärzten anderer Disziplinen
  • Beratung der Pflegekräfte (Darreichungsformen, Entnahme Blutproben für TDM, Einnahmehinweise Patienten)
  • Schulungen von Ärzten und Pflege, Psychologen und Sozialpädagogen zu Psychopharmaka und arzneimittelbezogenen Problemen
  • Einzelgespräche mit Patienten zu den Arzneimitteln (Aufklärung, Beratung, Erkennen von arzneimittelbezogenen Problemen)
  • Psychoedukationsgruppen zu Psychopharmaka

Vorteile[edit | edit source]

Der Patient erhält eine qualifizierte und garantiert (von Preis und Hersteller eines Arzneimittels) unabhängige Beratung zu Arzneimitteln. Diese Beratung und die Beantwortung seiner Fragen erfolgt nicht durch seinen behandelnden Arzt bzw. Psychiater, sondern durch den klinischen Pharmazeuten. So können Fragen gestellt werden, die gegenüber dem Arzt unter Umständen nicht angesprochen würden. Darüber hinaus besteht im Rahmen der Psychoedukationsgruppe und unter fachlicher pharmazeutischer Leitung die Möglichkeit des Austauschs mit anderen Patienten zu deren Erfahrung mit den Arzneimitteln. Ängste vor Einnahme und UAW können geäußert und Fehlinformationen korrigiert werden. Eine generelle Risiko-Nutzen-Abwägung der Einnahme kann erfolgen. Der regelmäßige Interaktionscheck garantiert dem Patienten eine höhere Arzneimitteltherapiesicherheit und es kommt seltener zu unerwünschten Wirkungen.[4] Eine weitere Sicherheit für den Patienten bietet auch die Abstimmung der Medikationsänderung mit Fachärzten anderer Disziplinen.[8]

Für den Arzt stellt das Eichberger Modell insbesondere eine Möglichkeit dar, aufwändige Recherchearbeit und Medikationsberatung an den klinischen Pharmazeuten zu delegieren. Dadurch gewinnt er Zeit, um sich anderen medizinischen bzw. psychotherapeutischen Aufgaben an den Patienten zuzuwenden. In der Psychiatrie hat es sich als hilfreich erwiesen, konfliktbeladene Diskussionen zur Psychopharmakotherapie an den klinischen Pharmazeuten abzugeben. Das kann das Verhältnis Patient-Arzt erheblich verbessern. Daneben kann ein klinischer Pharmazeut den Arzt durch Vermeidung von unerwünschten Arzneimittelereignissen und Interaktionen vor haftungsrechtlichen Konsequenzen schützen.

Die Pflegekraft kann der klinische Pharmazeut unterstützen, beraten und einen Teil der Verantwortung mit übernehmen. Pflegekräfte sind oft nur rudimentär in Arzneimittellehre ausgebildet. Dennoch werden sie im Berufsalltag durch das Dispensieren und den direkten Kontakt mit den Patienten häufig mit Äußerungen und Beobachtungen von UAW konfrontiert. Durch regelmäßige Schulungen seitens des Pharmazeuten werden das Wissen über Arzneimittel, ihre Verabreichung und unterschiedliche Darreichungsformen verbessert. Zudem findet durch die Organisation von Psychoedukationsgruppen zu den Arzneimittelwirkstoffen eine Entlastung des Pflegepersonals statt. Dieses hat mehr Zeit für die Einzelbetreuung und pflegetherapeutische Gespräche im Rahmen der Bezugspflege.

Validierung des Eichberger Modells[edit | edit source]

Eine in der Klinik Eichberg durchgeführte Studie mit Patienten der gerontopsychiatrischen Station zeigt, dass durch die Zusammenarbeit von Arzt und klinischem Pharmazeuten die Anzahl von potenziell relevanten Arzneimittelinteraktionen während des stationären Aufenthalts um 48% gesenkt werden konnte. Die Anzahl von Medikamenten der Priscus-Liste (potenziell inadäquate Medikation für ältere Menschen, (vgl. auch Beers-Liste) konnte um 42% gesenkt werden.

Des Weiteren wurden alle E-Mail-Anfragen an die klinische Pharmazeutin der Klinik Eichberg zwischen Januar und April 2015 ausgewertet: die häufigsten Anfragen betrafen die Eignung eines Medikaments für einen bestimmten Patienten (31,3%), es folgten Fragen nach Interaktionen (25,2%) und nach möglichen Nebenwirkungen bzw. unerwünschten Arzneimittelereignissen (17%). Es folgten Fragen nach Arzneimittelumstellungen (12,2%), nach Dosierungen (6,1%) und nach der Applikations- bzw. Darreichungsform (1,4%). Die Empfehlungen der klinischen Pharmazeutin wurden zu 100% umgesetzt, bei 99% der Patienten wurde sie mindestens für zwei Wochen beibehalten, da innerhalb dieses Zeitraums die meisten Nebenwirkungen von Psychopharmaka auftreten, aber auch die Wirkung meistens erst dann eintritt.

Quellen[edit | edit source]

  • Hessisches Ärzteblatt 09/2017, S. 485 ff: Roll SC; Hahn M: "Das Eichberger Modell. Eine klinische Pharmazeutin im Klinikteam einer psychiatrischen Fachklinik zur Verbesserung der Arzneimitteltherapiesicherheit"; Copyright Landesärztekammer Hessen, Frankfurt, ISSN 0171-9661
  • Vitos Klinik Eichberg, Kloster-Eberbach-Str. 4, 65346 Eltville
  • Hahn M, Roll SC. Das Eichberger Modell. Psych Pflege 2015; 21: 142–144; Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart, New York, ISSN 0949-1619

Einzelnachweise[edit | edit source]

  1. Frye MA, Ketter TA, Leverich GS et al. The increasing use of polypharmacotherapy for refractory mood disorders: 22 years of study. J Clin Psychiatry 2000; 61: 9–15
  2. Vonbach P, Dubied A, Krähenbühl S, Beer JH. Prevalence of drug-drug interactions at hospital entry and during hospital stay of patients in internal medicine. Eur J Intern Med. 2008 Oct; 19(6): 413–20. Vorlage:Doi.
  3. 3,0 3,1 Hahn M et al. Drug-drug interactions in psychiatry. Psychiatr Prax. 2013 Apr; 40 (3):154–8
  4. 4,0 4,1 Hahn M, Roll SC. Validierung von Interaktionsdatenbanken in der Psychopharmakotherapie. Nervenarzt 2017; Epub July 24th. Vorlage:DOI
  5. 5,0 5,1 Fokter N, Mozina M, Brvar M. Potential drug-drug interactions and admissions due to drug-drug interactions in patients treated in medical departments. Wien Klin Wochenschr. 2010 Feb; 122(3–4):81–8. Vorlage:Doi
  6. Hahn M, Roll SC. A new approach to pharmaceutical care: experiences with the „Eichberger“ Model in a psychiatric clinic in Germany. Drug Ther perspect 2012: Vol 28. No 9: 24–26
  7. McDonough, RP. Developing Collaborative working relationship between pharmacists and physicians. Journal of the American Pharmaceutical Association 2001; 41(5): 682– 692
  8. 8,0 8,1 Hahn M, Pfeuffer S, Roll SC.: Medikationsmanagement gemeinsam verbessern. Psychopharmaka im Pflegeheim. In: Die Schwester Der Pfleger 2014; 53 (2): 182–185
  9. Hahn M, Pfeuffer S, Roll SC.: Die Bedeutung des Trialogs beim Medikationsmanagement gerontopsychiatrischer Patienten. Das Pilotprojekt NetzWerkPlan. Psych Pflege 2014; 20 (02): 86–90
  10. Roll SC, Hahn M. Increasing drug therapy safety in psychiatry: implementing a pharmacist on the ward. Pharmacopsychiatry 2012; 45 – A7