Fall Fabio V.

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Als Fall Fabio V. wird die Inhaftierung und Strafverfolgung eines 18jährigen Veneziers bezeichnet, der während des G20-Treffen in Hamburg 2017 einen halben Tag an Protesten gegen den Gipfel teilnahm. Er wurde am Rande einer von der Polizei aufgelösten Demonstration des mutmaßlichen "Schwarzen Blocks" festgenommen. Laut Haftanordnung des Hanseatischen Oberlandesgerichts habe er die „die bürgerkriegsähnlichen Zustände in Hamburg mitverursacht“.[1] Die Anklage wirft ihm eine "gemeinschaftliche Tat" von Schwerem Landfriedensbruch, versuchter gefährlicher Körperverletzung und tätlichem Angriff auf Vollstreckungsbeamte vor. Dass Fabio V. selbst Steine- oder Flaschen geworfen habe wird ihm selbst laut Anklage nicht vorgeworfen.[2]

Sein Fall gilt "seiner Szene" (Die Welt) als Symbol für die Umsetzung einer "Harten Linie" durch Politik, Polizei und Justiz wie sie der Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) nach Kritik am Polizeiensatz und den Krawallen um den Gipfel herum ausgerufen hatte.[3] Fabio V. wurde am aus der Untersuchungshaft 26. November 2017 entlassen; er saß seit dem 7. Juli 2017 in Jugendhaft.[4][5]

Der Prozess wird u. a. von amnesty international, dem italienischen Konsulat und den Juristen für Demokratie und Meschenrechte (ELDH) beobachtet.

Hintergrund[edit | edit source]

Fabio V. lebte bei seiner Familie in dem norditaliensichen Ort Belluno und arbeitet in einer Plastikfabrik. Zusammen mit seiner Freundin und weiteren Freunden aus einer Gruppe des lokalen Alternativen Zentrums reiste V. nach Hamburg um gegen eine von ihm so wahrgenommene Politik der globalen Ungerechtigkeit, für die die G20 stehen, zu protestieren.

Fabio V. reiste am Abend des 6. Juli 2017 per Flugzeug in Hamburg an.

Festnahme[edit | edit source]

Fabio V. nahm am Morgen des 7. Juli 2017 an einem Protestzug teil, der aus etwa 200 größtenteils vermummten Demonstranten bestand. Der Zug bewegte sich in einem Industriegebiet im Westen Hamburgs. Der Zug wurde aktiv von der Polizei aufglöst. Der gesamte Einsatz wurde von der Polizei mittels Video dokumentiert. Darauf ist zu sehen, dass die die Festnahmeeinheit nach der Auflösung ein paar Vermummte gefesselt hatte. Am Bildrand taucht Fabio V. auf. Im Polizeivideo ist zu sehen, wie er abseits des Geschehens hin- und herschlendert. Ein Bereitschaftspolizist fordert ihn auf sich zu einer Gruppe von ein paar anderen Demonstranten zu setzen. Die Gruppe sitzt auf einem Bordstein. "Alles ist friedlich, jedenfalls jetzt, niemand protestiert." schildert die Welt das Video.[1] Fabio V. und seine Freundin Maria R. wurden festgenommen.[6]

Laut Anklageschrift seien aus der Demonstration mindestens 14 Steine und vier pyrotechnische Gegenstände geworfen worden. Belege dafür, dass der Angeklagte Fabio V. selbst einen dieser Gegenstände geworfen hatte, gibt es laut ARD-Magazin Panorama nicht.[7]

Untersuchungshaft und Prozess[edit | edit source]

Untersuchungshaft[edit | edit source]

Der 1. Strafsenat unter dem Vorsitzenden Richter Marc Tully am Oberlandesgericht Hamburg schreibt in seiner Haftbegründung für Fabio V, u.a. dass die zu erwartende Freiheitsstrafe „nicht zur Bewährung ausgesetzt werden könne“. „Menschenwürde, das Recht auf körperliche Unversehrtheit und auf Eigentum“ seien für Fabio V. „erkennbar ohne jede Bedeutung“. Weiter schreibt der Senat: der „erkennbar rücksichtslosen und auf eine tief sitzende Gewaltbereitschaft“ schließen lassenden Tatausführung komme „besondere Bedeutung“ zu. V. habe sich an „schwersten Ausschreitungen“ beteiligt. Dies sei zurückzuführen auf seine „charakterliche Haltung, welche die Annahme der Schuld rechtfertigt“. Weiter schreibt Tully von angeblichen „schädlichen Neigungen“ und stellt „erhebliche Anlage- und Erziehungsmängel fest, die ohne längere Gesamterziehung des Täters die Gefahr weiterer Straftaten begründen“. Die Richter stellten dies zu einem Zeitpunkt fest, an dem sich Fabio V. zur Sache selbst noch garnicht geäußert hatte.[1]

Am 16. November 2017, über vier Monate nach seiner Inhaftierung ordnete eine Richterin am Amtsgericht Hamburg an, den Haftbefehl gegen V. gegen Auflagen außer Vollzug zu setzen. Die Inhaftierung von Fabio V. ist unabhängig von dem Prozess gegen ihn. Für seine Freilassung wurde eine Kaution von 10.000 Euro festgelegt und Auflagen, wie das dreimalige Melden in der Woche bei der Polizei Hamburg. Er hätte auch in die Wohnung einziehen müssen, die seine Mutter unmittelbar nach seiner Verhaftung in Hansestadt bezog.[3] Die Staatsanwaltschaft legte Einspruch ein und Fabio V. blieb in Haft. Die Staatsanwaltschaft legte unmittelbar nach der Entscheidung Einspruch ein, denn es bestehe trotz Kaution Fluchtgefahr. Das Landgericht entschied, dass die Beschwerde der Staatsanwaltschaft abgelehnt wird. Dagegen wiederum legte die Staatsanwaltschaft Beschwerde ein. Damit musste das Hanseatische Oberlandesgericht (OLG) als letzte Instanz entscheiden.[2] Am 26. November 2017 wurde seine Inhaftierung in der Jugendhaftanstalt Hanöfersand ausgesetzt.[5]

Maria R. wurde am 10. August 2017 frei gelassen.[6]

Anklage und Prozess[edit | edit source]

Die Staatsanwaltschaft Hamburg erhob beim Oberlandesgericht Hamburg Anklage gegen Fabio V. wegen Schwerem Landfriedensbruch, versuchter gefährliche Körperverletzung und einem tätlichen Angriff auf Vollstreckungsbeamte. Aktivisten, wie Fabio V. hätten Mitschuld an einer Eskalation der Demonstration gehabt. Die Angriffe auf die Polizei hätten "mit seinem Wissen und seiner Billigung" stattgefunden, sagte Staatsanwältin Berit von Laffert.[8]

Auch wegend er starken Kritik an der stichhaltigkeit der Anklage wird der Fall mittlerweile von Amnesty International (ai) beobachtet. An den Verhandlungstagen sitzen Beobachter des italienischen Konsulats, vom Grundrechte-Komitee sowie der Europäische Vereinigung von Juristen für Demokratie und Menschenrechte (ELDH) im Saal.[2]

Bewertung und Rezeption[edit | edit source]

Juristen, Politiker und andere Beobachter kritisierten die Begründung für die Haft Fabio V.s massiv. Per Hinrichs schrieb in der Welt: "Erstaunlich ist, auf welcher faktischen Grundlage die Richter ihren Beschluss stellen. ... Wie der Senat vermeintliche „Anlagefehler“ beim nicht vorbestraften Italiener ermitteln konnte, bleibt völlig offen. Überhaupt ist die mehrfach vorgenommene Behauptung, hier prägten „Neigungen“ oder „Anlagen“ den Charakter, höchst fragwürdig."[1]

Der Bundesrichter a.D. Thomas Fischer sah in dem Haftbeschluss gegen Fabio V. eine unzulässige Vorverurteilung. Er sagte dem NDR: "Der Haftbeschluss des OLG liest sich wie eine vorweggenommene überzogene Strafzumessung."[9]

Auch der Hamburger Juraprofessor a.D. Ulrich Karpen (CDU) betonte "Ein Jeder" dürfe nur für die von ihm begangenen Taten zur Rechenschaft gezogen werden. Es sei in unserer deutschen Rechtsordnung verboten, für "einen Gesamteindruck", etwa dass beim G20-Gipfel in der Stadt Hamburg "bürgerkriegsähnliche Zustände geherrscht haben könnten" (Karpen), einer einzelnen Person die Schuld aufzuerlegen.[9]

Der Prozess wird in italienischen Medien aufmerksam verfolgt.[10][11][12] Die Blätter des Springer-Verlages Bild und Hamburger Morgenpost (Mopo) titulierten Fabio V. als "G20 Milchbubi" und "G20-Bubi".[13]

Die ZDF-Satiresendung "Heute-Show" stellte in einer ihrer Sendungen die Quizfrage: "Dieser 18jährige sitzt seit vier Monaten in Haft. Die Anklage beruht allein auf seiner Teilnahme an einer Demo - er selbst soll keine Gewalt ausgeübt haben. In welcher Stadt ist Fabio V. angeklagt? A) Ankara B) Hamburg?"[2]

Einzelnachweise[edit | edit source]